Das Elternhaus von Erwin Bullinger stand in der Unteren Hauptstraße 98. Seine Eltern waren die Bauersleute Franz Bullinger und Theresia geb. Weiller. Er war das achte von elf Kindern und kam am 26. September 1916 auf die Welt.
Am 15. Januar 1938 musste er in der Kaserne Bergzabern den Wehrdienst antreten und ab 1. August 1939 stand er als Soldat bereit, nicht ahnend, was ihn bald erwarten würde. Es folgte vom 10. Mai bis 1. Juli 1940 sein Einsatz im Frankreich-Feldzug und ab 1. April 1941 in Jugoslawien. Mittlerweile zum Gefreiten und Obergefreiten befördert, nahm er am 22. Juni 1941 mit seiner Einheit am Feldzug gegen die Sowjetunion teil. Von seinen Brüdern Valentin, Franz, Eduard, Otto und Ernst standen zu diesem Zeitpunkt zumindest die beiden letztgenannten im Felde. Einen Sonderurlaub nutzte Erwin Bullinger, um am 28. Dezember 1942 in Herxheim die Ehe mit Therese Maria Knecht zu schließen; eine sogenannte Kriegshochzeit.

Ab dem 24. Juli 1944 wurde Erwin Bullinger vermisst. Als Vermisstenort wird die Gegend 30 km südlich von Lemberg in der heutigen Ukraine angegeben. Wir wissen nicht, ob er ein Soldatengrab fand. Über die Vorgänge, die Erwin Bullinger wahrscheinlich den Tod brachten, berichtete in einem vom 30. September 1944 datierten Brief ein Kamerad von Erwin Bullinger an dessen Frau:

„Seien Sie mir nicht böse, weil ich Ihnen nicht gleich geschrieben habe. Warum? Es ist streng verboten, den Angehörigen zu schreiben, bevor die Dienststelle, die Kompanie, es ihnen mitgeteilt. Erwin ist seit dem 27. Juli bereits vermisst. Vier Wochen muss gewartet werden. Man weiß ja nicht, ob er sich noch bei einer anderen Einheit meldet. (…) Will Ihnen jetzt genau schreiben, wie der Verlauf des 27. Juli war und wie es kam, dass ich rausgekommen konnte und Erwin vermisst ist. Wir waren in Winniki, dies ist eine Vorstadt von Lemberg, am 26. Juli. Um 1 Uhr kam die Meldung, die Durchfahrt ist geschlossen, also der Kessel ist zu. An diesem Mittag hatten wir schon zwei Tote in dem Dorf. Um 5 Uhr ungefähr war es, legte der Russe ein Trommelfeuer ins Dorf, so dass wir nicht länger bleiben konnten. In großer Geschwindigkeit verließen wir das Dorf mit unseren Fahrzeugen, ungefähr zwei Kilometer weit raus in den Wald. Alles stockte sich und es hieß warten, bis Panzer kommen, die die Bahn zum Durchfahren freimachen sollten. Es kamen wirklich Panzer und fuhren vor. Auch Jäger, unsere Männer von vorne meine ich. Erwin und ich lagen an der Küche beisammen. Mir gefiel die Geschichte nicht. Um 5 Uhr fuhr die endlose lange Kolonne an. Dies ging drei Kilometer, dann hieß es: Schnell fahren, Feind in Sicht! Wir waren nicht ganz 300 m gefahren, stockte alles. Der Nebel fiel, die Sonne drückte sich durch, der Russe sah uns gleich und deckte uns ein mit Pakfeuer ein. Wieder lag ich neben ihrem Mann. Dies ging etwa 30 Minuten. Ein Wald war 50 m entfernt. Ich sprang auf, um zu erkunden, ob wir reinfahren können. In dem Moment fuhr die Kolonne auch, Erwin mit der Küche. Nach einer Stunde traf ich Erwin wieder mit der Küche, die als einziges Fahrzeug noch da war. Erwin sagte: „Walter bleib jetzt bei mir.“ Meine Antwort war: „Freilich, ich suchte dich überall.“ War auch immer bei ihm, bis wir Degen, unseren Hauptfeldwebel trafen, der verwundet wurde und wir ihn zusammen verbanden und ihn auf dem Küchenfahrzeug mitnahmen. Etwa drei Kilometer fuhren wir bis in ein Dorf. Dort wurden wir überfallen. Wir kamen noch hinter ein Haus, spannten die Pferde aus, jeder schwang sich auf ein Pferd und ritten davon. Der Russe in Scharen hinterdrein. Noch keine 300 Meter ritten wir, Degen sprang noch nach und rief: „Nehmt mich mit.“ In der selben Minute fiel Erwin vom Pferde und weinte ich sagte: „Erwin, was ist denn, reiß dich zusammen, es geht auf Leben und Tod.“ Erwin hatte einen Nervenzusammenbruch. Er war ganz erschöpft, nehme ich an. Sein Pferd sprang davon. Langsam stand er auf, sagte: „Hole mir mein Pferd.“ Keine 300 m ritt ich vor, holte sein Pferd. In diesen Minuten kam der Russe in Strömen in Höchstgeschwindigkeit nach. Ich blieb und schaute bis der Russe auf 30 m ran kam. Nichts mehr war zu sehen. Erwin kam in Gefangenschaft. Glauben Sie mir mein Herz klopfte. Ich konnte fast nimmer. Allein war ich, ritt durch das Feuer mit zwei Pferden. Die Pferde waren nicht mehr zu halten und trieben etwa zwei Kilometer in falscher Richtung, bis ich die Pferde stehen lassen musste. Ich schaute nach der Sonne. Da ergab sich für mich die Richtung. Ich kam glücklich ohne Verwundung in das Dorf, wo das Regiment stand. Vom Tross war nur noch ein Fahrer da. So ist es uns ergangen. Erwin war ein herzensguter Kamerad und wie weh es mir tat, kann ich Ihnen nicht schreiben. Kann Erwin nie vergessen. Kein Tag vergeht, ohne dass sein Name gesprochen wird in der Kompanie. So ist es gegangen mit ihrem lieben Mann. Bleiben Sie gesund Wir wollen hoffen, dass Erwin nach Kriegsende zurückkehren wird zu ihnen. Der liebe Gott wird Ihnen beistehen.“

Soweit die Vorgänge nach dem Bericht des Kameraden. Die offizielle Nachricht von der Dienststelle der Kompanie ist datiert vom 29. August 1944 und bestätigt in kurzer Form die Aussagen des Kameraden. Zusätzlich erfahren wir, dass Erwin Bullinger Stabsgefreiter war und Fahrer der Feldküche. Ansonsten zeigt die Nachricht des Kompanieführers die üblichen Standartsätze:
„Ihr Gatte tat seinen Dienst stets zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Als einen der ältesten Kompanieangehörigen war er bei seinen Kameraden sehr beliebt und geachtet. Für alle, die ihn kannten, wird er ein vorbildlicher Soldat und treuer Kamerad bleiben. (…) Möge ihnen die Gewissheit, dass ihr Gatte sein Bestes tat für die Größe und den Bestand des Großdeutschen Reiches ein Trost sein in dem schweren Leid, dass sie getroffen hat.“

Das Leid traf nicht nur die junge Ehefrau, sondern auch die Eltern und Geschwister, dies umso mehr, als der ältere und ebenfalls verheiratete Bruder Otto schon ein Jahr zuvor, am 23. Juni 1943 in Pfachino auf dem östlichen Kriegsschauplatz gefallen war. Der jüngere Bruder Ernst war in russische Kriegsgefangenschaft geraten, aus der er erst 1949 heimkehrte. Die Eintragung ins Sterberegister der Gemeinde Herxheim erfolgte erst 1951, nachdem von der zuständigen Dienststelle in Berlin ein entsprechender Bescheid eingetroffen war.
Im Rahmen der Umbettungsarbeiten des Volksbundes deutsche Kriegsgräber konnten seine Gebeine nicht geborgen werden. Die vorgesehene Überführung zum Sammelfriedhof Potelitsch/Ukraine war somit leider nicht möglich: Sein Name wird im Gedenkbuch des Friedhofes verzeichnet und in der Kriegergedächtniskapelle in Herxheim.
(Dr. Klaus Eichenlaub)